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Aktuelles

TiD 11 | Mit der Bauwende gegen Wohnungslosigkeit – Rückschau

Am 13. Februar 2025 fand im Rahmen der Transformationsdialoge der Bundesstiftung Bauakademie eine spannende Diskussion zu einem der drängendsten gesellschaftlichen Themen statt: Wie können nachhaltige Bau- und Planungsansätze dazu beitragen, Wohnungslosigkeit zu bekämpfen?

Die Videodokumentation der Veranstaltung wird in Kürze auf unserem YouTube-Kanal hochgeladen.

Unsere Expert*innen aus Politik, Verwaltung und Baupraxis diskutierten unter anderem:
- Wie lassen sich sozialer Wohnungsbau und Klimaschutz verbinden?
- Welche Chancen bieten Tiny Houses und alternative Wohnmodelle?
- Wie kann bestehender Wohnraum besser genutzt und zugänglich gemacht werden?

Mit dabei waren: 

Brian Nickholz, MdB SPD und Stiftungsratsmitglied Bundesstiftung Bauakademie
Ulrike Schartner, gaupenraub+/-
Petra Grenz, Faktor10 GmbH
Julius Mihm, Bürgermeister von Schwäbisch Gmünd

Moderation: Dr. Leslie Quitzow | Begrüßung: Prof. Dr. Guido Spars

Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden für die wertvollen Impulse und die engagierte Diskussion. Die Erkenntnisse aus diesem Austausch werden in die weitere Arbeit der Bundesstiftung Bauakademie einfließen.

WIR BLICKEN ZURÜCK

Wohnungs- und Obdachlosigkeit stellen in Deutschland eine extreme Form von Armut, Ausgrenzung und gesundheitlicher Gefährdung dar. Seit der ersten bundesweiten Datenerhebung im Jahr 2022 ist die Anzahl betroffener Personen massiv angestiegen. Im Einklang mit der EU hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, Wohnungslosigkeit bis zum Jahr 2030 abzuschaffen. Dafür hat sie unter Federführung des BMWSB einen Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit verabschiedet. 

Weil Wohnraum ein Grundrecht ist, sind Städte und Gemeinden bereits heute verpflichtet, (Not-)Unterkünfte für Wohnungslose bereitzustellen. Dieser Pflicht können sie aufgrund mangelnden Angebots und angespannter Haushaltslagen jedoch nur bedingt nachkommen. Das fehlende Wohnungsangebot und die gestiegenen Wohnungspreise, insbesondere in den urbanen Ballungsräumen, verschärfen das Problem. Wohnungslosigkeit ist also nicht nur ein sozialpolitisches Thema, sondern von höchster planungs- und baupolitischer Relevanz.

Viele Veränderungen im Planungs- und Bausektor werden derzeit insbesondere vor dem Hintergrund von Klimaschutz und Ressourcenschonung diskutiert. Mit dem Transformationsdialog „Mit der Bauwende gegen Wohnungslosigkeit“ diskutierte die Bundesstiftung Bauakademie, wie dringend notwendige Veränderungen der Planungs- und Baupraxis sowohl Klima- und Umweltschutz als auch soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt bewirken können. 

Anhand erfolgreich realisierter Beispiele diskutierten Expert*innen aus Politik, Verwaltung und Baupraxis folgende Fragestellungen:

- Inwieweit lassen sich die sozialen Ziele der Wohnraumversorgung mit Klima- und Ressourcenschutz vereinbaren? Wie kann Wohnraum vor dem Hintergrund fehlenden Angebots und steigender Mietpreise für Bedürftige langfristig gesichert werden? 

- Welche Chancen liegen hierfür im Neubau, z.B. von Tiny Houses nach dem Beispiel Wiens, Marburgs oder Gelsenkirchens? 

- Wie kann Wohnraum auch jenseits des Neubaus erschlossen werden? 

- Welche Chancen liegen in dem Umbau von Bestandsgebäuden oder der Erschließung von leerstehendem Wohnraum, z.B. durch Vermittlungsagenturen, Mietgarantien und Sanierungszuschüsse?

Petra Grenz, Architektin und Partnerin des Büros Faktor10 GmbH stellte das Projekt Passivhaussozialplus in Darmstadt vor und machte damit greifbar, wie bezahlbarer Wohnraum durch Bestandsumbau und die Nutzung energieeffizienter Systeme geschaffen kann. Sie hob hervor, dass durch den Bestand im Vergleich zum Neubau ca. 1.500 Tonnen klimaschädliches CO2 eingespart werden konnten. Kostensparend wirkt sich auch das Warmmietenmodell aus, bei dem die monatlichen Betriebskosten pauschal in der Wohnungsmiete enthalten sind.

Ulrike Schartner, Architektin und Partnerin des Büros gaupenraub+/- gab einen Überblick unterschiedlicher Projekte für Wohnungslose, darunter VinziRast mittendrin, VinziDorf Wien, Vinzirast am Land und VinziDorf Marburg. Frau Schartner zeigte, wie wichtig Improvisation, Teamwork und Selbstermächtigung in innovativen Projekten der Wohnraumschaffung sind. Wohnraum für Menschen in prekären Lebenslagen wird bei gaupenraub+/- immer in Relation zur Nachbarschaft, zu anderen Gruppen und weiteren Tätigkeiten gedacht und entworfen.

Julius Mihm, Bürgermeister von Schwäbisch Gmünd führte in die Gmündner Wohnraumoffensive „Raumteiler“ ein, bei der die Kommune durch Match-Making zwischen Vermieter*innen und Wohnungsbedürftigen ungenutzten privaten Wohnraum wieder in die Nutzung bringt. Die bisherige Bilanz: Über 1.200 vermittelte Personen, 390 unterschriebene Mietverträge, mehr als 22.800 Quadratmeter vermittelter Wohnraum und weit über 100 weniger leerstehende Wohnungen. Die gute Nachricht aus Baden-Württemberg an diesem Abend lautete somit: Es gibt die Wohnungen, die wir brauchen, wir müssen sie nur aktivieren!

Das Interview mit Susanne Hinneberg machte deutlich, dass Wohnungslosigkeit ein gesamtgesellschaftliches Thema ist und jede*n betreffen kann. Ihre Schilderungen verdeutlichten, wie begrenzt die Unterstützung für Menschen ist, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Besonders hob sie die Bedeutung von Schutzmechanismen wie Schonfristregelungen und anderen mietrechtlichen Sicherheiten hervor. Diese könnten helfen, Wohnungsverlust zu verhindern.

Brian Nickholz, MdB SPD und Stiftungsratsmitglied Bundesstiftung Bauakademie sprach über den Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit und die Notwendigkeit, bei der Entwicklung von Programmen alle politischen und administrativen Ebenen einzubinden und in kontinuierlichen Gesprächen weiterzuentwickeln, damit sie Wirksamkeit entfalten können. Dafür hat der Bund unter anderem eine Kompetenzstelle für Wohnungslosigkeit eingerichtet, die den Wissenstransfer fördern und relevante Akteur*innen vernetzen soll.

In der anschließenden Diskussion, moderiert von Dr. Leslie Quitzow, Transformationsmanagerin Stadtentwicklung und Zukunftsforschung Bundesstiftung Bauakademie, erörterten die Gäste, wie die Überwindung von Wohnungslosigkeit als Impuls für die Bauwende dienen könnte – und umgekehrt.

Es wurde deutlich, dass Architekt*innen in diesem Prozess weit mehr als die Gestaltung von Gebäuden verantworten. Sie übernehmen eine zentrale Vermittlerrolle, entwickeln gemeinsam mit Betreiber*innen und Nutzer*innen tragfähige Konzepte, stehen in engem Austausch mit Behörden, fördern den Dialog mit der Nachbarschaft und betreiben Fundraising bei der Bauwirtschaft. Sie übernehmen eineKümmerer-Rolle“, die vom Engagement Einzelner abhängt.

Erfahrungen aus den realisierten Projekten zeigten außerdem: Die bestehenden Standards im Wohnungsbau müssen kritisch hinterfragt werden. Häufig behindern sie einen intelligenten Umgang mit Bestandsbauten oder verunmöglichen zukunftsweisende Konzepte. Förderprogramme und bauliche Standards sollten so gestaltet sein, dass sie innovative Projekte ermöglichen und gleichzeitig eine hohe Qualität sichern.

Sozial gerechter Wohnungsbau muss nicht durch sparsame Ästhetik auffallen. Vielmehr kann architektonische Qualität aus kreativen Lösungen, einem verantwortungsvollen Umgang mit begrenzten Budgets und vorhandenem Bestand sowie durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit Vieler entstehen. Um eine zukunftsfähige kommunale Wohnraumpolitik zu betreiben, braucht es Vermittler*innen und Vertrauenspersonen, die langjährige Netzwerkarbeit zwischen Wohnungsanbieter*innen und Wohnungssuchenden betreiben. Gleichzeitig ist es essenziell, die vielfältigen Bedürfnisse wohnungsloser Menschen anzuerkennen und differenzierte Wohnangebote zu schaffen, die diesen gerecht werden.

Damit Wohnungslosigkeit wirksam und präventiv bekämpft werden kann, müssen unterschiedliche administrative Ebenen und Fachbereiche besser zusammenarbeiten. Nur durch eine koordinierte Strategie lassen sich langfristige Lösungen für sozialen Wohnraum und eine gerechte Stadtentwicklung realisieren.